Pressemitteilung


Gemeinsam ein Ziel: Neue Strukturen und Impulse für unser Gesundheitssystem

Köln, 4. Mai 2022 - Spannende neue Impulse, kontroverse Diskussionen und endlich wieder persönlicher Austausch: Mit einer festlichen Eröffnungsveranstaltung startete gestern der Gesundheitskongresses des Westens, der in diesem Jahr unter dem Motto: „Lasst uns nachhaltige Strukturen schaffen!“ steht. Heute Nachmittag geht der 16. Gesundheitskongress des Westens zu Ende.

NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann warnte in der Eröffnung davor, den akuten Fachkräftemangel in der Pflege nicht nachhaltig genug zu verfolgen. „Die Frage des Personals wird in den kommenden Jahren die spannendere Frage sein als die Frage nach der Finanzierung“, so der Minister. An der Personalfrage werde sich die Weiterentwicklung des Gesundheitssystems orientieren. Man werde an „einer anderen Organisation der Pflege“ nicht vorbeikommen. „Das halten wir keine zwei, drei Jahre mehr durch, wenn wir so weitermachen“, so Laumann, „das wird uns um die Ohren fliegen.“ Das könnte auch ein Vorbild für andere Krankenhäuser sein. Weitere Punkte des Ministers:  eine Ausbildungsvergütung für alle nichtakademischen Gesundheitsberufe, das NRW-Begrüßungsgeld für zugewanderte Pflegekräfte, sowie Pflegegeld für pflegende Angehörige als Lohnersatzleistung analog zum Elterngeld.

Mit Spannung erwartet wurde auch Prof. Dr. Hendrik Streeck, Direktor des Instituts für Virologie am Uniklinikum Bonn, der davor warnte, das Infektionsgeschehen angesichts sinkender Corona-Fallzahlen zu unterschätzen. „Nach über zwei Jahren Pandemie haben wir noch nicht gelernt, eigenverantwortlich und souverän mit der Pandemie umzugehen.“ Noch immer gebe es Einflussgrößen auf die Pandemie, die wir nicht kontrollieren können und wahrscheinlich nie kontrollieren werden.“ Vor allem die Saisonalität habe einen großen Einfluss auf die Verbreitung des Corona-Virus. Sicher könne man sagen, „dass wir durch das Gröbste durch sind“, so Streeck, dennoch sei es sehr wahrscheinlich, dass die Fallzahlen im Herbst und Winter wieder ansteigen werden. „Sich jetzt auszuruhen, ist in meinen Augen genauso falsch, wie so weiterzumachen wie bisher“. Nun gelte es, sich vorzubereiten, auch wenn niemand vorhersehen könne, wie sich das Virus entwickeln wird, so Streeck. „Wir müssen lernen, mit Grauzonen umzugehen.“ Vor allem das anlasslose Testen mit einem Antigentest würde außerhalb von medizinischen Einrichtungen immer weniger Sinn machen, da die Infektion in der frühen Infektionsphase nicht zu erkennen sei. Es müsse wieder der alte Spruch gelten: „Wer sich krank fühlt, soll zuhause bleiben. Dadurch kann man vermutlich genauso gut Infektionsketten unterbrechen.“ Streeck hält zudem eine Antikörperstudie für notwendig, um die Immunität in der Bevölkerung festzustellen.

Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD), der seinen Auftritt auf dem GdW wegen einer kurzfristig anberaumten Kabinettssitzung absagen musste, machte in seinem Grußwort deutlich: „Nachhaltig zu sein oder zu werden - das ist ein gebotener Anspruch, auch in der Gesundheitsversorgung. Wie in allen Lebensbereichen gilt: Wenn Nachhaltigkeit nicht nur ein moderner Anstrich sein soll - nach dem Motto: Tapete runter, neue Farbe rauf, fertig - dann wird es komplex. Und es verlangt uns konkret etwas ab. Deshalb ist es gut, die Diskussion darüber voranzubringen und zu handeln. Der Gesundheitskongress des Westens bietet einen vortrefflichen Anlass dafür.“

„Wer, wenn nicht wir, kann und muss einen Beitrag zur Lösung der bestehenden Probleme im Gesundheitswesen leisten“, stimmte Kongresspräsident Prof. Dr. Dr. h.c. Karl Max Einhäupl die Teilnehmenden auf die kommenden zwei Tage ein. Kongressleiterin Claudia Küng wies darauf hin, dass nur 10 Jahre zur Verfügung ständen, bis die Babyboomer in Rente gingen. Sie lege aber viel Hoffnung auf die junge Power-Generation, der man mehr Gestaltungsräume geben sollte.

Hochaktuelles Thema auf dem Kongress war natürlich auch die Pandemiebekämpfung aus Sicht der Krankenhäuser. Prof. Dr. Christian Karagiannidis, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin, und Leiter des DIVI-Intensivregisters riet angesichts der „demografischen Wand“, die auf unser Gesundheitswesen zukomme und „kaum beherrschbar“ sei, nun „nach vorn zu gucken“ und sich um das zu kümmern, was wichtig sei. Eine gute Blaupause für die Zukunft sei es, die Krankenhäuser in drei Level einzuteilen und die Patientenallokation zentral zu steuern, wie man es mit Hilfe des Intensivregisters an der Charité in Berlin gemacht habe. „Das Level-System ist eines der Dinge, die wir mit in die Zukunft nehmen sollten“, so Karagiannidis.

Aufmerksam verfolgt wurde auch der Vortrag von Josef Hecken, unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses, der zum Thema „Reform des G-BA“ gefordert wurde. Er griff die wesentlichen Kritikpunkte zum G-BA auf: „zu langsam“, „zu mächtig“, „zu undemokratisch“. Er widersprach heftig, unterlegt mit den entsprechenden Gegenbeispielen. Die Entscheidungsfindung würde immer härter: „Der medizinisch-technische Fortschritt bricht uns das Genick“, prognostizierte Hecken. Er regte eine Diskussion darüber an, ob Solidarität sich wieder auf den Grundsatz konzentrieren sollte, dass die Gesellschaft nur noch die Dinge finanziere, die die Kraft des Einzelnen überfordere.

Auch der Impulsvortrag von Prof. Dr. Holger Holthusen, Medizinischer Direktor der Knappschaft Kliniken GmbH, zum Pro und Contra der Systempartnerschaften bewegte das Publikum: „Die jahrelange mangelnde Innovationsfinanzierung seitens der Länder hat dazu geführt, dass wir in den Klinken eine Infrastruktur haben, die häufig überaltert ist“, berichtet er über die Ausgangslage und zeigte spannende Möglichkeiten durch Technologie- und Systempartnerschaften auf.

Christoph Dammermann, Staatssekretär im Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes NRW, hielt einen Vortrag zum „Glücksfall Pharmastandort Deutschland“ und die Frage, wie sich dieses Glück verstetigen ließe. „Wir sind einer der attraktivsten, leistungsfähige und attraktivsten Pharmastandorte weltweit mit 143.000 Beschäftigten 2021 und einem Umsatz von 53 Milliarden Euro.“ Nun gehe es darum, neue innovative Produkte aus Forschung und Entwicklung voranzutreiben. Es werde eine zentrale gesellschaftliche Aufgabe erfüllt, die seit der Corona-Pandemie einen noch größeren Stellenwert bekommen habe.

Um regionale Versorgungskonzepte als Schlüssel zur Zukunft ging es im Impulsvortrag von Maria Klein-Schmeink, MDB, Bündnis 90/Die Grünen. In der anschließenden Diskussion u.a. mit Klaus Overdiek, Leiter der DAK-Landesvertretung NRW, griff Dr. Volker Schrage, stellv. Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe, das Kongressmotto auf: „Ich glaube, dass es an den nachhaltigen Strukturen in der regionalen Versorgung krankt. Es gibt viele Ideen, aber sind sie wirklich nachhaltig?“ Daran müsse gemeinsam gearbeitet werden.

Zum Ende des ersten lebendigen Diskussionstages rückte das Thema Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen nochmal in den Mittelpunkt: Dr. Eckart von Hirschhausen, Gründer der Stiftung „Gesunde Erde - Gesunde Menschen“ moderierte die Session der Best-Practice-Beispiele, die unser Gesundheitssystem schon jetzt nachhaltig verändern. „Klimaschutz ist Gesundheitsschutz“ so der Mediziner, „überall passieren Grenzverletzungen der planetaren Gesundheit, und ich möchte euch dazu bewegen, selber etwas zu bewegen“, rief er ins Publikum. „Die Menschen vertrauen genau euch, die im Gesundheitswesen arbeiten. Werdet aktiv und informiert darüber, wie jeder durch eine klima- und umweltfreundliche Lebensweise sich selbst und unserem Planeten etwas Gutes tun kann.“ Beim anschließenden Come-Together ist der erste spannende Kongresstag ausgeklungen.

Auch der zweite Kongresstag im Kölner Gürzenich starte mit dem Thema Nachhaltigkeit: 

Moderatorin Sarah Peuling, Senior Business Manager der CompuGroup Medical, eröffnete die Session Chancen und Potentiale für mehr Nachhaltigkeit: Mit auswertbaren Daten in die Versorgung steuern: „Das Thema Digitalisierung ist in fast jeder Session des Kongresses allgegenwärtig, sie ist in allen Bereichen der Gesundheitswirtschaft angekommen.“

Im anschließenden Impulsvortrag betonte Prof. Dr. Andreas Pinkwart, NRW-Minister für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie: „Ein großes Themenfeld ist für uns die digitale Gesundheit. Die Digitalisierung verändert alle Lebensbereiche und zählt zu einer unserer größten Gestaltungsaufgaben.“ Sie diene jedoch nicht dem „Selbstzweck“, sondern solle das Leben der Menschen einfacher machen, so der Minister. Er verwies auf die Digitalstrategie des Landes NRW, die 2019 erstmals verfasst wurde und inzwischen in einer 2.0-Version vorliegt. Zugleich mahnte der Minister angesichts der Corona-Krise, das Gesundheitssystem auf die Herausforderungen unserer Zeit wie zum Beispiel den demografischen Wandel und das Risiko neuer Infektionskrankheiten „noch besser“ vorzubereiten. Die Digitalisierung könne dazu beitragen, sich zu wappnen. Dazu müssten unterschiedliche Kommunikationssysteme in den Kliniken miteinander kompatibel werden, Startups der digitalen Gesundheitswirtschaft gilt es weiter zu unterstützen, aber auch Daten müssten weiterhin sicher und verlässlich zu Forschungszwecken erhoben werden, wo bei die Datenhoheit immer bei den Patienten läge. Dazu seien weitere Investitionen nötig, so der Minister: „Wir dürfen nicht an der Digitalisierung sparen.“

In der Session Krankenhausplanung in NRW: Wäre das „Krankenhaus-Schließungs-Gesetz“ ein Zukunftskonzept? lieferten zwei Top-Experten spannende Impulsvorträge: Helmut Watzlawik, Abteilungsleiter Krankenhausversorgung im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW, und Entwickler des neuen Krankenhausplans in NRW. Zum anderen: Prof. Dr. Reinhard Busse, FG Management im Gesundheitswesen an der Technischen Universität Berlin, und jüngst von Gesundheitsminister Lauterbach in die Regierungskommission berufen, die Vorschläge für eine Krankenhausstrukturreform machen soll. 

Los ging es mit Helmut Watzlawik, der zunächst betonte: „Auf die Frage, ob ein Krankenhaus-Schließungs-Gesetzt ein Zukunftskonzept wäre, sage ich ganz klar Nein! Es geht in diesem Plan nicht um Schließungen, es geht um Verbindlichkeit, Transparenz und Qualität, insofern handelt es sich um einen qualitätsorientierten Krankenhausplan, mit dem wir in Zukunft mehr Verantwortung für die Krankenhauslandschaft in NRW übernehmen wollen.“

Was den Plan insbesondere ausgezeichnet habe, sei der Arbeitsprozess der letzten zwei Jahre gewesen, so Watzlawik. „Wir haben mit allen wesentlichen Akteuren gesprochen, und dieser Plan ist im Einvernehmen mit allen im Landesausschuss für Krankenhausplanung verabschiedet worden - und nicht in irgendeinem Hinterzimmer.“ Es habe einige Zweifler gegeben, die nicht für möglich gehalten hätten, mit allen Akteuren einen Krankenhausplan zustande zu bringen, aber am Ende habe es geklappt. Herausgekommen sei ein guter Kompromiss. „Wir waren uns auf jeden Fall einig, dass es so wie es jetzt läuft nicht weitergehen kann“, so Watzlawik, „es kann nicht sein, dass man dem Markt überlässt, wie sich die Krankenhäuser entwickeln. Diesen ruinösen Wettbewerb um Patienten, Fallzahlen und Personal müssen wir beenden. Wir müssen den Krankenhäusern generell und verbindlicher sagen, wer was machen darf, unter welchen Voraussetzungen.“

Prof. Busse, der 2019 als Gutachter Input für den neuen Krankenhausplan gegeben hatte, machte deutlich: „Es ist sicher der falsche Ansatz, wenn man sagt, dass es in diesem Gesetz primär um Krankenhausschließungen geht, es geht mit dem Plan darum, die Krankenhauslandschaft zu verbessern. Aber ganz klar muss auch sagen, dass am Ende Krankenhäuser geschlossen werden müssen.“ Vor diesem „Spagat“ habe man damals auch mit Minister Laumann gestanden, dass es schwierig sei zu sagen, dass von den 330 Krankenhäusern nur 110 gebraucht würden, und 220 geschlossen werden könnten, so Busse. „Es muss ein Prozess sein, wie das qualitativ laufen kann, und die Herausforderung ist riesig.“ Unsere Krankenhausstruktur sei geprägt von extrem vielen, und vor allem vielen kleinen Krankenhäusern, so dass wir im Vergleich zu unseren Nachbarländern 50 Prozent mehr Betten und auch Fallzahlen hätten. Busse: „Einerseits verteilen sich Patienten, die zurecht im Krankenhaus sind, auf zu viele inadäquate Krankenhäuser. Andererseits haben wir zu viele Fälle, die gar nicht in einem Krankenhaus sein müssten, und dadurch ärztliches und pflegerisches Personal binden.“ Busse weiter: „Jeder denkt, wir haben zu wenig Pflegepersonal, nein, wir haben Pflegepersonals, das kümmert sich nur um Patienten, die eigentlich nicht im Krankenhaus sein müssten. Das alles führt dazu, dass es unnötig schlechte Qualität gibt.“ 

In der anschließenden Runde mit Josef Neumann, MdL, der SPD-Fraktion des Landtages NRW, Matthias Blum, Geschäftsführer der Krankenhausgesellschaft NRW, Andreas Schlüter, Hauptgeschäftsführer der Knappschaft Kliniken GmbH und Sandra Leurs, Themenbeauftragte für Gesundheit und Pflege im Landesverband NRW der Piratenpartei Deutschland, wurde kontrovers diskutiert.

Der nächste Gesundheitskongress des Westens findet am 3. und 4. Mai 2023 statt.

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Bildmaterial vom Kongress (frei verwendenbar durch Medien): GdW | Flickr

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